Amoklauf bei Ladurée

Es gibt Momente, da möchte ich immer nur die Knarre rausholen und einfach um mich schießen. Dass dieses Blutbad ausgerechnet bei Ladurée stattfinden würde – nun, dass war mir bis vor wenigen Minuten auch nicht klar. Wie immer am letzten Tag in Paris stellte ich mich nach der Vuitton-Show geduldig in die lange Schlange in der Rue Royal, um leckere Makarons zu kaufen. Man wartet dann manchmal eine halbe Stunde, weil die Japaner offenbar nach Farben aussuchen, Italiener sich jeden Geschmack einzeln erklären lassen und die feinen Pariser mit Hüten und Pelzen eben auch ein wenig kritischer sind. Neben mir stand ein junger Mann, vielleicht Siebzehn, Achtzehn. Er sah aus, wie jemand aus der Vorstadt, der sich sonntags schick anzieht und mit seiner Freundin im Vorstadtzug in die City fährt. Sein Hemd war gut gebügelt, aber mit ausgefranstem Kragen. Das Sakko an den Ärmeln ein wenig ausgeblichen. Und eigentlich hasse ich mich schon wieder dafür, Menschen anhand ihrer Kleidung zu beurteilen.
Dieser junge Mann jedenfalls bestellte bei der Dame hinterm Tresen zwei Crossaint und zwei Makarons (die ungefähr die Größe eines 2 Euro Stücks haben). „8 Euro“, verlangte sie dafür und ich sah, wie der Junge ein bisschen zusammen zuckte und sein Kleingeld in der Hand zählte. „Sind Sie sicher, dass es so teuer ist?“, fragte er schüchtern. Die Verkäuferin antwortete daraufhin: „Monsieur, willkommen bei Laduree, dass kann sich eben nicht jeder leisten!“ Worauf alle Verkäufer anfingen zu lachen, dieses gackernde-verächtliche Lachen, das man kennt, wenn man als Schüler irgendetwas falsch gemacht hat. Der Junge wurde knallrot wie das Framboise-Makarons in meinem Karton. Vor allem stand hinter dem Tresen ja nicht Familie Laduree, die sich so was sicher auch nicht erlaubt hätte, weil sie erstens schon tot ist und 1862 (laut grüner Papiertüte das Gründungsjahr) jeden Kunden geachtet hat, sondern Mädchen aus der Vorstadt, die ebenfalls sonntags lieber mit ihrem Freund im Vorstadtzug in die Stadt fahren würden.
Das war der Moment an dem ich die Knarre zücken wollte und das Personal am liebsten umgebracht hätte. Aus einem Instinkt heraus, habe ich ihm die zwei fehlenden Euro gegeben, was uns beiden unangenehm war. Aber irgendwie musste ich das tun. Erderwärmung und Armut in Indien lassen mich kalt. Aber solche Situationen machen mich fertig.
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Kurz darauf sah ich den Jungen vor dem Olympia um die Ecke, wo offenbar gleich eine Nachmittagsvorstellung begann. Ein Mädchen stand neben ihm. Gemeinsam teilten sie sich ihr Buttercroissant von Laduree.
+++
Warum kommt mir das Leben in Paris immer wie ein völlig verkitschter Liebesfilm vor?
muenni - 4. Mär, 17:58

Das war...

...jetzt aber, trotz der schlimmen Verkäufer, eine sehr schöne Geschichte.

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