Die Macht der Tradition

Im Januar vergangenen Jahres erzählte mir T., Freundin, dass ein Freund von ihr eine Taschen-Firma gekauft hat: Valextra. Es war eine sehr spannende Geschichte und ich wollte unbedingt darüber schreiben. Leicht war es nicht, diese Geschichte unterzubringen. Bei einer Frauenzeitschrift, deren Chefredakteurin heute meint, man sei die „avantgardistischere Vogue“, sagte man mir beispielsweise, niemand würde die Firma kennen, also wäre sie auch „nicht spannend für die Leserin“. Die Ressortleiterin des hervorragenden Stil-Teils der Welt am Sonntag sah das zum Glück anders. Ich reiste also nach Mailand.
Massimo S., ein gut gekleideter, bestens erzogener Italiener, begrüßte mich stolz im Gebäude von Valextra, einem Gepäckhersteller, der in den Sechzigern das „Hermès Italiens“ war. Caruso, die Callas, Onassis – niemand verreiste ohne die von Hand gefertigten Koffer.
Irgendwann ging es mit Valextra allerdings bergab.
Massimo S. hörte von der Marke und glaubte ganz fest daran, dass Tradition und Qualität immer eine Überlebenschance verdient haben. Er fand Investoren, wurde Chef – und stand vor einem Problem. Nur die früheren, längst pensionierten, Handwerker wussten noch, wie das Leder auf „Valextra-Art“ bearbeitet werden muss. Also reiste er durch ganz Italien und besuchte die alten Herren in ihrem Zuhause. Einige konnte er überzeugen, Valextra wieder mit aufzubauen. Seitdem verraten die Senioren, einige über 80, in ihren weißen, gestärkten Kitteln, jungen Arbeitern ihre Tricks von einst.
Vor drei Monaten besuchte ich Massimo S. wieder. Valextra gibt es mittlerweile in den besten Läden auf der ganzen Welt zu kaufen. Er konnte seinen Traum also verwirklichen. Als Dank, dass ich (neben Anna Wintour) einer der wenigen Journalisten war, der an den Erfolg so früh glaubte, durfte ich mir eine Tasche aussuchen, die extra für mich angefertigt wurde. Ein Herr mit Block und Bleistift wurde gerufen. Er zeigte mir verschiedene Lederarten, Griffe, Formen. Ich entschied mich für graues Hirschleder in Herren-Shopper-Form.
Dann hörte ich erstmal nichts mehr. Gestern kam der Anruf, dass meine Tasche fertig sei und man sie mir gerne zuschicken würde. Gerade wurde sie geliefert. Ich riß den Karton auf, las zuerst die mit Füller geschriebene Briefkarte, holte die dunkelgrüne Verpackung heraus, dann den weißen Staubbeutel - und schließlich meine Tasche. Sie ist wunderschön, ganz klassisch, riecht nach Leder und Handwerk - also genauso wie damals bei Valextra.
Jetzt werde ich beim Tragen immer an diesen alten Herren denken, der im weißen Kittel mit seinen Fingern das Leder meiner Tasche geknetet hat.
(Gewidmet allen Chefredakteuren, die erst etwas interessant finden, wenn alle schon davon gehört haben.)

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